
Einige Buchtitel sind ein süßes Versprechen. Andere wiederum wollen auffallen und provozieren – mitunter so erfolgreich, dass sie grimmig vom empörten Publikum (oder einem lustfeindlichen Algorithmus, aber wo ist da der Unterschied … ) beäugt werden. Und wieder andere führen listig in die Irre und lachen sich dabei ins Fäustchen. Praktischerweise vereint der Roman Pornographie des legendären polnischen Autors Witold Gombrowicz (1904 – 1969) all diese Qualitäten.
Die Originalausgabe des Romans erschien im Jahr 1960 im polnischen Emigrantenverlag Instytut Literacki in Paris. Aus politisch-ideologischen Gründen war der seit 1939 im Exil lebende Gombrowicz in seiner Heimat mit einem Publikationsverbot belegt. Erst ab Mitte der 1980er Jahre wurden seine Werke auch in Polen verlegt. Die deutschsprachige Ausgabe von Pornografia ließ indes nicht lange auf sich warten. Bereits 1963 erschien eine erste Übersetzung ins Deutsche, besorgt von Walter Tiel, damals noch unter dem deutlich subtileren Titel Verführung. Die nun vorliegende Pornographie aus dem Jahr 2022 wurde von Renate Schmidgall übersetzt. Das Buch ist Teil der schönen Gombrowicz-Gesamtausgabe im Kampa Verlag.
Nun habe ich von wirklich vielen Dingen keine Ahnung, bilde mir aber ein zu wissen, was Pornographie bedeutet und wie sie sich zeigt. Und doch klaube ich aus dem Regal in meinem Rücken ein Fremdwörterbuch, das ich jahrelang nicht zur Hand genommen habe. Darin findet sich folgende Begriffserklärung: „Darstellung geschlechtlicher Vorgänge unter einseitiger Betonung des genitalen Bereichs und unter Ausklammerung der psychischen und partnerschaftlichen Gesichtspunkte der Sexualität.“ Hinsichtlich des Romans von Gombrowicz ist das nicht uninteressant. Denn das Buch ist eines eben gerade nicht: pornographisch. Lust und Begehren spielen darin sehr wohl eine (tragende, ja treibende … ) Rolle – Schilderungen explizit sexueller Praktiken sucht man darin jedoch vergebens.
Was also findet man in diesem sonderbaren Roman, der sich laut Gombrowicz am „billigen Roman“, also an eher seichter Spannungs- und Unterhaltungsliteratur orientiert? Gemessen an den anderen, recht verwinkelten Werken des Autors scheint die Sache hier einigermaßen überschaubar: Der Roman spielt im Kriegsjahr 1943, zur Zeit der deutschen Besatzung. Der in Warschau lebende Schriftsteller Witold Gombrowicz (nicht zu verwechseln mit dem Autor … der zu dieser Zeit im argentinischen Exil in Buenos Aires weilt) hält sich mit „kleinen Geschäftchen“ über Wasser und verbringt die freien Stunden in verrauchten Cafés, um über „Gott, Kunst, Volk, Proletariat“ zu diskutieren. Eines Tages erreicht ihn ein Brief seines adeligen Freundes Hipolit, der ihn auf sein Landgut in der Gegend von Sandomierz, im Südosten des Landes einlädt. Hierhin wird er von seinem Bekannten Fryderyk begleitet.

Im vermeintlichen Idyll in der polnischen Provinz passiert nun ausgesprochen … wenig: Es wird geschmaust, getrunken und flaniert, ein Gottesdienst im Nachbarort besucht und die Fettleibigkeit des Gastgebers kommentiert (dies ausgesprochen … häufig). Gelangweilt will Fryderyk bereits abreisen. Dann jedoch entdecken die beiden Gäste zwei Jugendliche für sich, denen sie fortan ihre komplette Aufmerksamkeit widmen: Henia (Tochter des mopsigen Gutsherren) & Karol (Knecht auf dem Hof, vorab bei den Partisanen). Obwohl die Tochter des Hauses bereits mit dem etwas älteren Wacław (schütteres Haar, aber sehr gute Partie) verlobt ist, versuchen Witold und Fryderyk die beiden Jugendlichen durch allerhand Intrigen miteinander zu verkuppeln. Nicht unbedingt mit Erfolg.
”„Nein, das war nicht zu ertragen! Nichts, nichts. Nichts, nur meine sich von ihnen ernährende Pornographie! Und meine Wut auf ihre bodenlose Dummheit – dieser Bengel, dumm wie Bohnenstroh, diese idiotische Gans! –, denn nur durch Dummheit war zu erklären, dass nichts, nichts, nichts geschah!“
Witold GombrowiczPornographie
Nichts geschieht und die Dinge nehmen ihren Lauf. Lüstern ergötzen sich Witold und Fryderyk an der Jugend und schmieden uneinsichtige Pläne. Um ihrem unmoralischen Ziel näherzukommen, gehen sie irgendwann buchstäblich über Leichen (es geschehen im Verlauf der Handlung gleich mehrere Morde … aber wer da wen und überhaupt … das kann und sollte an dieser Stelle nicht verraten werden).
Ihr obsessives Verhalten lässt sich, so meine ich, mit dem queer-theoretischen Konzept des „erotischen Dreiecks“ genauer begreifen. Stark vereinfacht formuliert: Das erotisch-sexuelle Interesse innerhalb einer Beziehung (hier die homosoziale Freundschaft zwischen Witold und Fryderyk) ist auf ein drittes Element (hier das Verhältnis von Henia zu Karol) gerichtet. Über die Anzahl der Ecken und Kanten dieser merkwürdigen (tatsächlich … queeren) Konstellation – der Text selbst spricht von einer „sonderbaren erotischen Kombination“ – ließe sich streiten, mein kurzer Abriss der Handlung lässt einige Figuren unerwähnt.
”„Ihre groteske Fürchterlichkeit rief vor allem das hervor, dass wir wie ein Liebespaar waren, das sich in seinen Gefühlen betrogen und von jenem Liebespaar zurückgestoßen fühlte, unsere Entflammung, unsere Erregung hatte nichts, wo sie sich entladen konnte, und jetzt grassierte sie zwischen uns.“
Witold GombrowiczPornographie
Witold Gombrowiczs Pornographie ist ein angenehm schräger, teilweise verstörender Roman. Das Buch spielt mit den Lese-Erwartungen, führt wunderbar bizarre Charaktere ein und verfügt über einige ungeahnte Plot-Twists. Was ihn darüber hinaus so interessant macht, ist seine Ambiguität (ja … die darf und sollte man grundsätzlich von Literatur erwarten … aber … aber), die zu ganz unterschiedlichen Interpretationen einlädt (neben einer queeren Lektüre erscheint mir auch eine Analyse des Raumes reizvoll: ständig sind Personen unauffindbar und müssen auf dem Grundstück gesucht werden … tauchen dann unvermittelt aber wieder auf). Dieser Einladung muss man freilich nicht folgen, man kann das Buch auch „einfach so“ lesen (… na dann).

Anmerkung: Die Photos für diesen Beitrag entstanden im Museum für Gegenwartskunst in Krakau (MOCAK). Neben dem Roman von Witold Gombrowicz zeigen sie die Installation Między (Zwischen) des polnischen Lyrikers und Konzeptkünstlers Stanisław Dróżdż (1939 – 2009).