Ekaterine Togonidze: In deinem Schlaf

By 26.10. 2025 Bücher

[Dieser Beitrag erschien in gekürzter Form am 23. September als Radiokritik in der Sendung Büchermarkt im Deutschlandfunk. Unter diesem Link kann man ihn anhören.]

Georgien legte im Jahr 2018 einen fulminanten Gastauftritt auf der Frankfurter Buchmesse hin. Etwa 150 Titel wurden damals ins Deutsche übersetzt, sowohl kleine Indies als auch große Konzernverlage nahmen Literatur aus Georgien in ihre Programme auf, platzierten diese prominent. Das Interesse am Land und an seiner Kultur war enorm. Es gab so viel zu entdecken!

Doch die Euphorie hielt nicht lange an. Das Georgian National Book Center – hauptverantwortlich für den erfolgreichen Messeauftritt – wurde schon im Folgejahr geschlossen, Mitarbeiter wurden entlassen, Übersetzungsförderungen stark zurückgefahren. Diese Situation hat sich unter der aktuellen russland-nahen Regierung nochmals verschärft: Gerade Regime-kritische Stimmen haben es immer schwerer, werden von den noch bestehenden Förderprogrammen systematisch ausgeschlossen.

Eine dieser kritischen Stimmen ist die Schriftstellerin, Journalistin und Aktivistin Ekaterine Togonidze. Ihr österreichischer Verlag – der Wiener Septime Verlag – hält dennoch an ihr fest, auch ohne finanzielle Unterstützung. Nach dem Roman Einsame Schwestern von 2018 und dem Erzählband Orkan von 2021, erscheint hier mit In deinem Schlaf bereits das dritte Buch der Autorin in deutscher Übersetzung. Diese wurde – geschmeidig und gewissenhaft – von Katja Wolters besorgt.

Das große Thema Togonidzes ist der menschliche Körper in seinem Verhältnis zu gesellschaftspolitischen Entwicklungen und Transformationsprozessen. Als eine der ersten Schriftstellerinnen Georgiens beschäftigte sie sich literarisch mit körperlicher Behinderung. In ihrem neuen Roman – ihrem bislang größten Publikumserfolg – setzt sie sich mit einer wenig erforschten Krankheit auseinander – dem sogenannten Resignationssyndrom, das vor allem Kinder aus asylsuchenden Familien betrifft.

„Zwischen 2005 und 2018 wurde die Diagnose bei über 600 Jugendlichen gestellt. Die Betroffenen verfallen in einen komaähnlichen Zustand, der Monate oder sogar Jahre andauern kann. Der Körper bleibt intakt, die Vitalfunktionen sind stabil – doch sie reagieren nicht mehr auf ihre Umwelt. […] Laut Experten könnte das Resignation Syndrome ein psychischer Schutzmechanismus sein – eine extreme Form des Rückzugs aus einer Welt, die als bedrohlich empfunden wird.“

Ekaterine TogonidzeIn deinem Schlaf

Von dieser Erkrankung betroffen ist die zehnjährige Gabriela, Tochter der Protagonistin Nia Kandelaki. Seit einem Erdbeben befindet sich das Mädchen in einem Tiefschlaf, muss 24 Stunden gepflegt und über eine Sonde ernährt werden. Diese Aufgabe teilt sich Nia mit ihrer Mutter und einer Pflegerin. Den Kontakt zu ihrem Ehemann Demna hat sie abgebrochen, denn sie gibt ihm die Schuld am Zustand der Tochter. Während des Erdbebens flüchtete er aus der gemeinsamen Wohnung und ließ Gabi allein darin zurück. Aus dem einsturzgefährdeten Altbau gerettet wurde das Mädchen von einem Freund der Familie, nicht von ihrem Vater.

Die zeit- und kostenintensive Pflege der Tochter kann sich die junge Mutter kaum noch leisten. Als Schauspielerin wurde sie schon lange nicht mehr gebucht. Als ihr überraschend ein Engagement in einer großen Produktion angeboten wird, ist sie zunächst unsicher, ob sie dieses annehmen sollte. Doch der behandelnde Arzt rät ihr dazu. Ein stabiles Umfeld würde sich positiv auf den Gesundheitszustand ihrer Tochter auswirken. Und so übernimmt sie die weibliche Hauptrolle im Film Der Pass, dessen Titel sich auf den Tschuberi-Pass bezieht, über den während des Georgisch-Abchasischen Krieges in den frühen 90er Jahren Tausende von Menschen flüchteten.

Dieser Krieg, der in den Jahren 1992/93 etwa 10.000 Todesopfer forderte und circa eine Viertelmillion Menschen zu Flüchtlingen im eigenen Land machte, hat Nia bislang kaum interessiert. Mit Abchasien – das wie Südossetien völkerrechtlich zu Georgien gehört, sich mit der Unterstützung Russlands jedoch dessen Souveränität entzieht – hat sie sich nie eingehend auseinandergesetzt. „Das verlorene Land war für mich nur eine Sammlung von Phrasen“, heißt es an einer Stelle.

Dies ändert sich jedoch schlagartig während der Dreharbeiten, die für die junge Frau zu einer Belastungsprobe werden. Denn das Filmgeschehen und ihr eigenes Leben scheinen sich immer mehr zu überschneiden. Nicht nur spielt sie eine Mutter, die um das Überleben ihres Kindes kämpft. Sie wird auch mit dem Schicksal ihres Ehemannes konfrontiert, der selbst aus Abchasien stammt und während des Krieges nur knapp eine Explosion überlebte, weil er rechtzeitig aus dem Haus der Großeltern entkommen konnte.

Ekaterine Togonidzes Auseinandersetzung mit dem Krieg und den damit verbundenen Traumata, die sich auch auf die nachfolgenden Generationen übertragen haben, ist nicht unbedingt subtil geraten. Die Erkrankung des Mädchens Gabriela mag kaum erforscht sein, hat im Roman aber klar erkennbare Ursachen und wird etwas erzwungen zur Metapher für die heutige georgische Gesellschaft und das konfliktreiche Verhältnis zum russischen Staat und den Separatistenrepubliken Abchasien und Südossetien.

Die Form, die die Autorin für ihr Thema gefunden hat, ist dabei durchaus stimmig. Über weite Strecken begleitet der Roman die Schauspielerin Nia beim Filmdreh und so bedient sich auch Togonidze verstärkt filmischer Mittel: Ihr Buch ist dialogreich, fokussiert sich auf wenige Figuren, wechselt rasant zwischen den Szenen und setzt immer wieder auf dramatische Höhepunkte. Trotz einiger Längen ist der Autorin auf diese Weise ein kurzweiliger, zuweilen mitreißender Roman gelungen.

Sprachlich hingegen weiß das Buch weniger zu überzeugen. Vielleicht will es das auch gar nicht. Denn In deinem Schlaf setzt ganz auf eine spannende Handlung, womöglich auch Verfilmbarkeit, um eine breite gesellschaftliche Diskussion anzuregen. Literarische Ambitionen wurden dafür hintangestellt. Gerade die inneren Monologe der Protagonistin, die sich durch den gesamten Text ziehen, sind mitunter arg gefühlig und nicht immer frei von Pathos.

Noch lässt eine Verfilmung auf sich warten, doch Togonidze hat mittlerweile selbst als Schauspielerin reüssiert. 2022 – knapp zwei Jahre nach Erscheinen ihres Romans in Georgien – übernahm sie die Hauptrolle im Kino-Film Liza, mach weiter!. Darin spielt sie eine ehemalige Kriegsreporterin, die sich ihrer Vergangenheit stellen muss. Gewisse Parallelen zum Roman In deinem Schlaf sind nicht von der Hand zu weisen, denn auch hier geht es um Abchasien. Ebenso wenig von der Hand zu weisen ist jedoch, dass diese Thematik die Menschen in Georgien noch lange beschäftigen wird.

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