Lesung: Raphaela Edelbauer und Dana von Suffrin

Von 03.10. 2019 März 4th, 2020 Magazin
Tino Schlench - Literaturpalast - Stifterhaus Linz Lesung (Vorschaubild)

Am 3. Oktober 2019 lasen die Autorinnen Raphaela Edelbauer und Dana von Suffrin im Stifterhaus Linz aus ihren jeweiligen Debütromanen. Ich durfte bei dieser Gelegenheit eine kurze Einleitung vorbereiten und den schönen Abend moderieren. So eine Veranstaltung lässt sich schwer in einen Beitrag übersetzen – aber warum nicht die Einleitung im Wortlaut wiedergeben? Gesagt, getan:

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Julia Brunner und dem Stifterhaus Linz für die Einladung, die zwei wunderbaren Romane von Raphaela Edelbauer und Dana von Suffrin in diesem Rahmen vorstellen zu dürfen und Sie ein wenig durch den Abend zu führen. Dazu begrüße ich Sie ganz herzlich. Bei den Büchern des heutigen Abends handelt es sich um Debütromane, natürlich, das haben Sie der Ankündigung entnommen. Doch scheint es mir nahezu unmöglich, vielleicht sogar unsinnig, die zwei Texte miteinander zu vergleichen. Denn Das flüssige Land und Otto sind völlig eigenständige Romane und auf einen ersten Blick doch viel zu unterschiedlich.

Da haben wir also einerseits Das flüssige Land der Wiener Autorin Raphaela Edelbauer, erschienen bei Klett-Cotta, nominiert sowohl für den Deutschen als auch für den Österreichischen Buchpreis. Das flüssige Land beginnt mit einer Todesnachricht – Ruth Schwarz wird am Telefon darüber informiert, dass ihre Eltern bei einem Autounfall umgekommen sind. Ihr letzter Wille: in ihrem Heimatort Groß-Einland beerdigt zu werden. Diese Beerdigung gilt es nun, zu organisieren. Doch dies erweist sich als schwierig, denn der Ort ist in keinem Register verzeichnet und muss zunächst einmal gefunden werden. Anhand von erinnerten Erzählungen ihrer Eltern muss Ruth die Lage des Ortes rekonstruieren; findet ihn schlussendlich auch.

Groß-Einland entpuppt sich als ein sonderbarer, verwunschen-märchenhafter Ort, als eine pittoreske österreichische Stadt, abgeschnitten vom Rest des Landes, beherrscht von der einer Gräfin, deren Schloss über allem thront. Unter dem Ort aber klafft die Leere – ein verästeltes Loch von unbekannter Tiefe, das die Stadt gefährdet, die sich immer weiter absenkt. Die Beerdigung der Eltern gerät darüber schnell in Vergessenheit. Denn Ruth Schwarz bleibt deutlich länger als geplant und fängt an zu schnüffeln. Sie beginnt zu recherchieren, was es mit dem Ort, dem Loch, aber auch mit ihrer eigenen Familiengeschichte auf sich hat – zum Missfallen der konservativen und trinkfesten Bevölkerung von Groß-Einland.

Zum anderen haben wir heute Abend die Möglichkeit, mehr über den Roman Otto der Münchner Schriftstellerin und Wissenschaftshistorikerin Dana von Suffrin zu erfahren, erschienen bei Kiepenheuer und Witsch und unlängst ausgezeichnet mit dem Klaus-Michael Kühne-Preis. Ein Roman, der zu gleichen Teilen unfassbar komisch und furchtbar traurig ist. Erzählt aus der Perspektive seiner Tochter Timna, wird uns darin vom titelgebenden Familienvater Otto berichtet:

Ein hinfälliger, alter, übergriffiger Despot, der seinen Töchtern Timna und Babi permanent Vorschriften und ein schlechtes Gewissen macht. Ein jüdischer Patriarch, der sein Umfeld durch seine Neurosen, seine egoistischen Bedürfnisse und seinen Geiz in den Wahnsinn treibt. Ein Pflegefall, der umsorgt werden will, von seinen Töchtern, Ärzten und seinem osteuropäischen Pflegepersonal. Denn ein Filipino, so wie ihn Freunde und Bekannte in Israel haben, der ließ sich in München nicht auftreiben. Otto ist eine „Heimsuchung“, wie ihn seine „Rabentöchter“ nennen – und dennoch wächst er uns Lesenden irgendwann ans Herz – auch deshalb, weil wir nach und nach mehr von seinem Leben und seiner Geschichte erfahren, die ihn, den im rumänischen Siebenbürgen Geborenen, mit langjähriger Zwischenstation in Israel, in den frühen 80ern nach Deutschland führte, in das Land der Täter.

Es scheint also unmöglich, vielleicht sogar unsinnig, diese zwei so unterschiedlichen Romane miteinander zu vergleichen. Obwohl … also … nun man könnte natürlich. Denn so man wollte, ließe sich darauf hinweisen, dass wir es in beiden Texten mit einer weiblichen Ich-Erzählerin zu tun haben, so um die 30, Pi mal Daumen, aufgewachsen und lebend in einem deutschsprachigen, urbanen Zentrum – die eine in Wien, die andere in München. Beide Ich-Erzählerinnen tragen alt-testamentarische, hebräische Namen: Ruth im Flüssigen Land – das leitet sich ab von der Freundin oder Begleiterin – und Timna in Otto – das ist übersetzt die Beherrschte, Maßvolle, Zurückhaltende.

Beide Frauen sind gut ausgebildet und promovierte Wissenschaftlerinnen und dennoch Teil des akademischen Prekariats. Die Karriere von Ruth Schwarz im Flüssigen Land scheint etwas besser zu verlaufen – sie arbeitet an ihrer Habilitation in Physik, eine Professur steht in Aussicht. Dennoch plagen sie Geldsorgen. Für Timna in Otto läuft es weniger gut: Die Doktorin der Philosophie arbeitet als schlecht bezahlte Elternzeitvertretung am Sonderforschungsbereich für spätscholastische Mystik, verliert im Verlauf des Buches aber ihre Stelle. Es mangele ihr an Arbeitseifer, so ihr Professor. Die wissenschaftliche Ausbildung der beiden Erzählerinnen – Physik, Philosophie, aber auch Geschichtsschreibung – sind für die Anlage der beiden Romane von eminenter Bedeutung.

Beide Erzählerinnen rauchen. Ruth tut dies zur „Emotionsregulation“. Diese, ihre Emotionen lassen sich oft nicht ganz greifen. Sie ist eine sehr unzuverlässige Erzählerin, ihr zu trauen, fällt uns schwer, was vordergründig an den Tabletten liegt, die sie immer wieder einwirft und deren Risiken und Nebenwirkungen wir nicht kennen. Medikamenten- und Alkoholsucht scheinen an Timna in Otto wiederum vorbeizugehen – ganz im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern in ihrer Kernfamilie. Timna selbst ist – wie ihr Name bereits andeutet, die Maßvolle in ihrer Mischpoche, für die sie schon früh Verantwortung übernehmen musste. Unsicher und unzuverlässig sind hier vor allem die Erinnerungen ihres Vaters Otto, die nicht immer zusammenzupassen scheinen. Er bittet seine Tochter, seine Geschichte aufzuschreiben. Doch in welcher Form ist dies zu bewerkstelligen? Auch Ruth Schwarz hat es mit zahlreichen Ungereimtheiten zu tun bei ihrem Versuch, die Geschichte von Groß-Einland, aber auch diejenige ihrer eigenen Familie zu erkunden.

Und überhaupt: die Leerstellen! Im Flüssigen Land haben wir es mit einer ganz offensichtlichen zu tun, mit dem Loch unter Groß-Einland, das ganz unterschiedlich gefüllt werden kann. Im Unterschied zu anderen Beispielen engagierter Literatur ist hier wenig eindeutig, Ambivalenzen bleiben bestehen. Wofür also steht dieses bedrohliche Loch? Für den Raubbau an der Natur? Für das gesellschaftlich Unbewusste oder Verdrängte, vor allem im Hinblick auf Shoah und NS-Verbrechen? Und lässt sich dieses Loch nicht auch feministisch lesen? Verweist es nicht auf den Mythos der „Vagina dentata“, den wir durch Sigmund Freud kennen? Auf Legenden von Frauen mit bewaffneten Vaginen, die in der Lage sind, ihre Sexualpartner zu ermorden oder zu kastrieren Im Matriarchat Groß-Einland kommen im Verlauf der Handlung gleich mehrere Phallus-Symbole zu Fall.

In Otto wiederum herrscht das Patriarchat – der Vater ist der Dreh- und Angelpunkt der Familie – er lobt und vergibt, er straft und sanktioniert. Es sind seine Erzählungen und Erinnerungen, die für die Leerstellen in Otto sorgen, die wir beim Lesen selbst füllen müssen. Eine widerspruchslose oder klassische Handlung bietet uns Dana von Suffrin nicht an. Stattdessen: Bruchstücke, Fragmente, Erinnerungsfetzen. Über allem schwebt die Shoah, die deutsche und die jüdische Geschichte. Sie haben sich eingefressen in die Körper. Krankheit, Tod und körperlicher Verfall sind hier omnipräsent – auf die Konstruktion, aber auch auf den Humor des Romans haben sie einen maßgeblichen Einfluss. Lassen Sie uns also mit den Lesungen beginnen!

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