Bruno Schulz: Die Zimtläden

Von 26.03. 2023 Bücher

Oft manchmal nie, aber meistens doch oft, nennen wir einen Roman poetisch. Das sagen wir so. Einfach so. In der Annahme, verstanden zu werden (es ist doch ein einfaches, gebräuchliches Wort). In der Hoffnung, dass der Begriff ein wenig auf uns abfärbt. Wenn es uns überkommt, dann setzen wir noch einen drauf (wir Füchse), bezeichnen Texte als weich oder zart. Geschickt wählen wir Attribute, die auch in einer Waschmittelwerbung nicht auffallen würden. Meist kommen wir damit durch. Doch wie lange noch? Dort hinten an der Ampel steht ein kleiner Junge und zeigt mit dem Finger auf uns. Wir fühlen uns in unserem Stumpfsinn ertappt.

Die Zimtläden von Bruno Schulz (1892-1942), im polnischen Original im Jahr 1933 erschienen, nennen wir dennoch ein poetisches Buch. Wir haben keinen anderen Begriff. Wir haben überhaupt wenig Begriffe. Noch weniger für dieses Buch, das an Begriffen nicht arm ist. Einige davon verbergen sich in den hintersten Ecken unseres Wörterbuchs, bislang hatten wir sie übersehen. Andere, uns vertraut scheinende Wörter finden auf unheimliche Weise Verwendung, plötzlich sind sie uns fremd. Es ist ein monströser, manierierter und überbordender Text, der sich unvermittelt aufbäumt und dann wieder klein macht. Ein zuweilen erratischer Text, dem unmöglich auf die Schliche zu kommen ist, dessen Sätze laut, oft auch mehrfach gelesen werden wollen. Diesem Wunsch leisten wir Folge (es ist ein Befehl).

Und so erliegen wir den Verlockungen des Textes, seinem Klang und Rhythmus, seinen Alliterationen („durch das dichte Grün des Gartens gefiltert“), seinem Willen zur Form und seinem Pathos. Hier gibt es wenig, was es nicht gibt. Das es das gibt, verdanken wir Doreen Daume (1957-2013), die den Text ins Deutsche übertragen hat. Die uns vorliegende, von ihr verantwortete Ausgabe erschien 2008 im Hanser Verlag. Neben zehn Illustrationen des Autors enthält sie auch ein hervorragendes Nachwort der Übersetzerin sowie einen Anmerkungsapparat, der Begriffe erläutert, über Eigenheiten des Textes informiert und Hinweise zum Übersetzungsprozess gibt. So erfahren wir zum Beispiel, dass die Kakerlake über bessere lautmalerische Qualitäten verfügt als die Schabe. Letztgenannte wurde in einem deutschsprachigen Exposé zwar vom Autor selbst ins Spiel gebracht, muss bei Daume aber weichen. Scha-scha-scha-schauen Sie:

„Einige Droschken, schwärzer als schwarz, desolat und klapprig wie verkrüppelte, schlummernde Krabben oder Kakerlaken, standen auf der Straße.“

Bruno SchulzDie Zimtläden

Wir sind ganz überrumpelt von so viel Ungetier. Auf nahezu jeder Seite zischt und faucht, kriecht und flattert es. Die Welt der Tiere, sie ist nicht nur nicht zu unterscheiden von derjenigen der Menschen, Pflanzen und Objekte, nein, es ist ein und dieselbe Welt. Alles darin lebt, atmet, ist fluide, kommuniziert und geht Verbindungen ein. Alles ist Agens und stiftet Unruhe. Immer wieder gehen Sinn und Wirklichkeit verloren und tauchen an ungeahnter Stelle wieder auf. Am realistischen Erzählen im gängigen Sinne, am Faktischen ist Bruno Schulz nicht interessiert. Und dennoch widmet er sich einem klassischen Thema: Das Buch erzählt von s/einer Kindheit, vom Aufwachsen in Galizien am Anfang des 20. Jahrhunderts.

Dem „mythischen Wetterleuchten“ der Zimtläden ist keine Gattungsbezeichnung vorangestellt. Es wird sich dabei um Erzählungen handeln und doch verstehen wir das Buch als einen Familienroman. Die einzelnen Geschichten sind miteinander verwoben, haben dieselbe Erzählinstanz, spielen am selben Ort, der Stadt Drohobycz/דראָהאָביטש/Дрого́бич, die heute im Westen der Ukraine liegt, unweit von Lwiw. Im Zentrum der Handlung – oft fällt es uns schwer, von einer Handlung zu sprechen, bewegt sich das Buch doch in Bildern – steht der Vater des Erzählers, Jakub, ein Tuchwarenhändler, eine sonderbare Gestalt, oft ängstlich, unter der Fuchtel der Haushälterin Adele, dann wieder fordernd und belehrend, Vorträge haltend.

Wir kennen diese Person und wir kennen sie nicht. Wir kennen sie doch und sie kommt uns abhanden. Sie verfällt, schrumpft „wie eine Nuss, die in ihrer Schale vertrocknet“ und verwandelt sich schlussendlich in das Ungeziefer mit dem schönsten aller Namen: „Seine Ähnlichkeit mit einer Kakerlake trat jeden Tag deutlicher hervor.“ Natürlich glucksen wir kurz auf und denken an Kafkas Verwandlung. Bruno Schulz sprach deutsch, kannte die Texte des Prager Autors. Seine Verlobte Józefina Szelińska hat den Process ins Polnische übersetzt, Schulz hat sie beraten. Es gibt gewisse Überschneidungen, was Themen, Motive und Referenzpunkte anbelangt. Stilistisch aber haben Schulz und Kafka kaum Gemeinsamkeiten. Ihre jeweiligen Ansätze sind grundverschieden. Sie sprechen eine andere Sprache.

Wir könnten Abhandlungen schreiben über die labyrinthartigen Texte von Bruno Schulz, über die Rolle des unsteten Wetters, der wechselnden Farben und der Jahreszeiten, über den Umgang mit Raum und Architektur, über das Wechselverhältnis von Wirklichkeit und Imagination und Imitation. Aber all das können wir nicht. Wir können überhaupt wenig und fühlen uns in unserem Stumpfsinn ertappt. Und doch lesen wir diese Texte und sind aufs Wohligste befremdet. Wir kennen Bruno Schulz und wir kennen ihn nicht, den polnisch-jüdischen Autor und Graphiker, der einem Ehrenhandel zwischen zwei Gestapo-Offizieren zum Opfer fiel und im November 1942 auf offener Straße ermordet wurde.

Postskriptum: Die Photos für diesen Beitrag entstanden im September 2021 im Kunstmuseum Czernowitz. Das Museum zeigt Werke der Bildenden Kunst und Volkskunst der Bukowina vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Über Leon Koppelmann (1904-1982), dem dort ein ganzer Raum gewidmet ist, konnte ich nachträglich nichts in Erfahrung bringen. Vor Ort aber fiel mir dessen Zeitgenossenschaft mit Schulz ins Auge; die zwei jüdischen Graphiker/Maler lebten unweit voneinander entfernt, wenn auch nicht im selben Ort. Die in Czernowitz ausgestellten Arbeiten Koppelmanns entstanden in den frühen 1930er Jahren, in eben jener Zeit, in der Schulz an den Zimtläden arbeitete.

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