Magdalena Kaszuba: Das leere Gefäß

Von 14.11. 2018 März 4th, 2020 Bücher
Tino Schlench - Literaturpalast - Magdalena Kaszuba - Das leere Gefäß 2

Man muss Marcel Proust nicht gelesen haben, um die bekannteste Szene seines siebenteiligen Romans Auf der Suche nach der verlorenen Zeit zu kennen. In dieser Szene tunkt der Erzähler eine Madeleine in eine Tasse Lindenblütentee, um das französische Gebäck dann genussvoll auf seiner Zunge zergehen zu lassen. Unwillkürlich versetzt ihn das Geschmackserlebnis in seine Kindheit zurück. Der sogenannte Madeleine-Effekt spielt auch in Magdalena Kaszubas Comic Das leere Gefäß (Avant-Verlag, 2018) eine tragende Rolle: Auf einem Spaziergang durch den Hamburger Hafen erblickt die Künstlerin an den dortigen Souvenir-Ständen Muscheln, die sie an ihre Kindheit an der polnischen Ostsee erinnern. Ja richtig, eine Madeleine hat die Form einer Jakobsmuschel.

Verstärkt wird der nun einsetzende Bewusstseinsstrom nochmals durch ein beiläufig aufgeschnapptes Musikstück, das durch seine Orgel-Instrumentation die einstigen Kirchgänge mit der Großmutter heraufbeschwört. Der strenge Glaube der polnischen Familie und die damit verbundene religiöse Unterweisung verhalfen dem autobiographischen Ich jedoch weniger zu Anstand und Demut, als dass sie die Ängste und das Schamgefühl des jungen Kindes beförderten – was in der Konsequenz zum Bruch mit der katholischen Kirche führte.

Ein Bruch zeigt sich ebenso in den künstlerischen Fähigkeiten von Magdalena Kaszuba. Denn während ihre Zeichnungen (Aquarell und Kohle) zum Besten gehören, was die deutsche Comic-Szene derzeit zu bieten hat, halten sich ihre erzählerische Begabung (noch) in Grenzen. Dies betrifft einerseits die Form und Struktur ihrer Arbeit und andererseits die Texte, die ihre Bilder begleiten. Sie sind oft unbeholfen, wirken deplatziert, oder stecken voller Klischees: „Die Emotionen kochten in mir.“

Viel zu oft konkretisieren und banalisieren diese Phrasen ihre wunderbaren Zeichnungen in einem solchen Maße, dass deren Zauber und Mehrdeutigkeit völlig verlorengehen. Kooperationen mit versierten Schriftstellerinnen oder Schriftstellern sind im Bereich der sequentiellen Künste nicht ungewöhnlich. Auch hier hätte sich eine solche Zusammenarbeit angeboten. Denn es ist sehr ärgerlich, wenn im Falle Kaszubas so viel Talent und Potential verschwendet wird, dass am Ende tatsächlich nur ein leeres Gefäß übrig bleibt.

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