Interview: Dean Vuletic über den Eurovision Song Contest

Von 10.05. 2020 Mai 16th, 2020 Magazin

Erstmals in seiner Geschichte findet der Eurovision Song Contest in diesem Jahr nicht statt. Die Gründe sind allgemein bekannt. Diese Lücke lässt sich nicht füllen, bietet aber die Gelegenheit, sich mit der Geschichte der Veranstaltung zu beschäftigen. Ein Gespräch mit dem australisch-kroatischen Historiker Dean Vuletic über den ESC als Forschungsgegenstand, die besondere Rolle Jugoslawiens und das osteuropäische Pendant des Song Contests, den Intervision-Liederwettbewerb.

Dean Vuletic, Sie haben sich in zahlreichen wissenschaftlichen Aufsätzen mit dem Eurovision Song Contest auseinandergesetzt. Zuletzt erschien Ihre Monographie Postwar Europe and the Eurovision Song Contest (Bloomsbury, 2018), die sich der Veranstaltung aus historischer Perspektive nähert. Wie kommt es, dass Sie sich so sehr für dieses Thema interessieren?

Ich bin in Australien aufgewachsen und habe die Veranstaltung schon als Kind im Fernsehen verfolgt. Sicher auch deshalb, weil meine Eltern aus Kroatien kommen. Unser gesamtes Wohnviertel in Perth war sehr multikulturell geprägt. Viele unserer Nachbarn hatten italienische, portugiesische oder kroatische Wurzeln und haben sich den Song Contest natürlich auch alle angesehen. Da ich mich schon früh für Sprachen und europäische Geschichte und Politik interessiert habe, war der ESC eine schöne Möglichkeit, die Welt zu entdecken. Als Student habe ich dann mit einem Kommilitonen Eurovisionspartys an unserer Uni in Australien organisiert. Während eines Auslandsstudiums in Israel im Jahr 1999 war ich dann erstmals live bei einer Veranstaltung dabei.

Nun hat der Song Contest ja bekanntlich viele Fans. Millionen Menschen schalten jährlich ein. Die allerwenigsten davon beschäftigen sich aber wissenschaftlich mit dem Thema. Wie hat das bei Ihnen angefangen?

Ich habe zunächst European Studies studiert. In einem Seminar zur europäischen Zeitgeschichte habe ich irgendwann einmal ein Referat über den Song Contest gehalten, das meinem damaligen Professor sehr gut gefallen hat. Daraus hat sich dann ein akademisches Interesse entwickelt. Wirklich systematisch habe ich mich aber erst in meiner Dissertation damit auseinandergesetzt, die sich mit populärer Musik in Jugoslawien in den Jahren 1945 bis 1961 beschäftigt. In meiner Arbeit frage ich unter anderem danach, warum das kommunistische Jugoslawien als einziges osteuropäisches Land während des Kalten Krieges am Song Contest beteiligt war.

Der ESC wird vielen als ein eher ungewöhnlicher Forschungsgegenstand erscheinen. Entstehen dazu viele Publikationen? Werden regelmäßige Tagungen abgehalten? Kurzum: Spielt der Song Contest im wissenschaftlichen Diskurs überhaupt eine große Rolle?

Mittlerweile schon. Auch früher gab es immer wieder vereinzelt Aufsätze zum Thema. Doch seit etwa 10 Jahren lässt sich ein regelrechter Boom beobachten. Ein erster Sammelband erschien im Jahr 2007: A Song for Europe, herausgegeben von Robert Deam Tobin und Ivan Raykoff. Dafür habe ich einen Beitrag über Jugoslawien geschrieben. Weitere Sammelbände folgten, vor allem im Bereich der Musikwissenschaft, Soziologie und Performance Studies. Mein Buch Postwar Europe and the Eurovision Song Contest ist aber nach wie vor die einzige Monographie, die sich aus historischer Perspektive mit der Veranstaltung befasst. Es existiert eine zweite, deutschsprachige Monographie von Irving Wolther, die jedoch andere Akzente setzt. Neben mir selbst kenne ich gar keine anderen Historiker*innen, die dazu forschen.

Dr. Dean Vuletic

Gibt es einen spezifischen Grund für den genannten Boom? Oder lässt sich das ganz allgemein mit einem gestiegenen Interesse an der Populärkultur erklären?

Das ist sicher der wichtigste Grund, ja. Phänomenen der Populärkultur begegnet man heute anders. Die Cultural Studies haben hier eine entscheidende Rolle gespielt. Es gibt weniger Berührungsängste, sich einem Thema wie dem ESC anzunehmen. Auch Seminare dazu finden inzwischen regelmäßig statt. Tatsächlich war ich der Erste, der eine solche Lehrveranstaltung angeboten hat. Das war 2012 an der New York University in Florenz, mit Studierenden aus den USA.

Kannten die den Song Contest denn überhaupt? Das ist bei Amerikaner*innen ja keine Selbstverständlichkeit. Im Jahr 2014 war ich in San Francisco auf der verzweifelten Suche nach einem Lokal, in dem die Veranstaltung übertragen wird, und fand genau eine einzige Kneipe. Dort habe ich dann zur Mittagsstunde mit einer Schwedin und zwei Engländern auf den Sieg von Conchita Wurst angestoßen.

Doch doch, der Song Contest war den Studierenden ein Begriff. Ich war selbst überrascht. Aber wir leben ja heute in Zeiten von YouTube und Spotify. Die kannten sich ziemlich gut aus.

Welcher Eurovisionsjahrgang ist denn aus historischer Perspektive besonders interessant?

Da gibt es einige. Ganz besonders interessant ist aber der Song Contest in Zagreb im Jahr 1990, direkt nach dem Ende des Kalten Krieges. Damals gab es zahlreiche Verweise auf die europäische Integration. Einerseits von den Veranstaltern, andererseits in den Texten der einzelnen Beiträge. Viele davon haben sich dem Thema Europa gewidmet. Bemerkenswert ist auch, dass die Veranstaltung genau einen Tag vor den Wahlen in Kroatien stattfand, obwohl diese in der Show selbst nicht erwähnt wurden. Am Ende des Abends ging Toto Cutugno – der mit Insieme: 1992 für Italien gewonnen hatte – ins Publikum. Und dort sah man dann die kommunistischen Regierungschefs, von denen man wusste, dass sie am nächsten Tag abgewählt werden würden. Ein sehr symbolträchtiger Augenblick.
Ein anderer wichtiger Contest war derjenige in Aserbaidschan im Jahr 2012. Das Land gab Unmengen von Geld für die Veranstaltung aus, um sein internationales Image aufzupolieren. Niemals zuvor wurde dem ESC von Vertreter*innen der EU so viel Beachtung geschenkt. Mehrfach wurde im Europäischen Parlament darüber debattiert, vor allem hinsichtlich der Menschenrechtslage in Aserbaidschan. Für gewöhnlich haben die Eurovision Broadcasting Union (EBU) und die Europäische Union doch sehr wenig miteinander zu tun. Es wird häufig nach den politischen Auswirkungen des Song Contests gefragt – die größte politische Diskussion löste jedoch die Veranstaltung in Aserbaidschan aus, das bekanntlich nicht einmal zu Europa gehört.

Im Jahr 1990 gewann Toto Cutugno mit Insieme: 1992 den Eurovision Song Contest.

Damit sprechen Sie eine Kernthese Ihres Buches an. Mit europäischer Integration oder einer gemeinsamen europäischen Identität hat der Song Contest deutlich weniger zu tun als viel meinen…

Sie bedingen sich zumindest nicht gegenseitig. In den 1980er und den frühen 1990er Jahren hat die Europäische Gemeinschaft Image-Filme finanziert, die während der Veranstaltung die sogenannten „Europäischen Jahre“ bewerben sollten. Die gesamte TV-Landschaft Europas wurde im genannten Zeitraum deutlich kommerzieller. Das galt auch für den Song Contest, dessen Kosten immer weiter anstiegen. Daher brauchte man Sponsoren. Und ein erster Sponsor war die Europäische Gemeinschaft. Allerdings nur für kurze Zeit. Die EU hält sich da seit vielen Jahren völlig raus.

Aber die Gründungsidee war doch sicher politisch motiviert, oder? Der Veranstaltung wird häufig ein völkerverbindendes oder sogar friedensstiftendes Element zugesprochen.

Der Friedensgedanke spielte beim ersten Grand Prix Eurovision de la Chanson im Jahr 1956 überhaupt keine Rolle. Der Krieg war vorbei. Darum musste man sich also nicht kümmern. Es ging ausschließlich darum, Fernseh-Technologie zu testen. Von Interesse war, ob es gelingen würde, ein Live-Event simultan in mehrere Länder zu übertragen. Mit politischen Interessen hatte das alles nichts zu tun, ich habe mich durchs EBU-Archiv gearbeitet. Der erste ESC fand in der Schweiz statt und wir wissen ja, wie sehr die Schweiz an der europäischen Integration interessiert war. Nämlich gar nicht.

Die Veranstaltung existiert seit über 60 Jahren. Gab es in dieser Zeit keine offiziellen Verlautbarungen, warum man den Liederwettbewerb überhaupt austrägt?

Technisch musste man sich nichts mehr beweisen. Bis zu diesem Jahr, in dem die Veranstaltung aus den bekannten Gründen abgesagt wurde, fand die Show jedes Jahr statt und das ohne Probleme. Aber man hat natürlich erkannt, dass man durch den Wettbewerb Millionen von Zuschauer*innen zusammenbringen kann. Die Show ist ein großer Erfolg. Darum hält man daran fest. Das war aber nicht immer selbstverständlich. Bis in die späten 70er wurde jedes Jahr darüber debattiert, ob die Veranstaltung stattfindet oder nicht. Der Song Contest hatte von Beginn an viele Gegner*innen. Kritisiert wurden vor allem die Qualität der Beiträge, das Abstimmungsverfahren und die enormen Kosten, die die Austragung verursacht.

Im Jahr 2016 wies das schwedische Moderations-Duo dezent darauf hin, dass die meisten ESC-Beiträge auf recht einfache Botschaften setzen.

An dieser Kritik hat sich im Grunde bis heute nichts geändert. Gerade das musikalische Niveau der Veranstaltung wird immer wieder in Frage gestellt. In der Parodie Love, Love, Peace, Peace aus dem Jahr 2016 machte sich die Eurovision sogar selbst darüber lustig, wie abgedroschen und klischeehaft viele Songtexte und Performances ausfallen. Andererseits sind politische Statements auch gar nicht vorgesehen.

In der Geschichte des Song Contests gab es immer wieder Beiträge, die politische Themen aufgegriffen haben. Diese wurden bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht dezidiert ausgeschlossen. Das passierte erst in den späten 90er Jahren. Damals wurde beschlossen, dass die Songs und Auftritte die Veranstaltung nicht in Verruf bringen sollten, so der offizielle Wortlaut. Man wollte Kontroversen vermeiden.

Warum kam es gerade zu diesem Zeitpunkt zu einem solchen Beschluss?

Das war Teil des Brandings. Der Song Contest wurde immer kommerzieller. Es ging darum, die Veranstaltung finanziell lukrativ zu machen. Eine Referenzgruppe begutachtete von nun an die einzelnen Einreichungen.

Also gab es keinen ausschlaggebenden Skandal?

Nein, nicht zu diesem Zeitpunkt. Aber Skandale gab es natürlich immer wieder. Nur ein Beispiel: Nach der türkischen Invasion Zyperns gab es einen griechischen Beitrag, der sich diesem Thema annahm. My Lady, My Lady von Mariza Koch aus dem Jahr 1976. Die Türkei wollte diesen Beitrag unbedingt verhindern, doch die EBU wandte ein, dass es keine Regeln gebe, die politische Beiträge verbieten. Daraufhin boykottierte die Türkei die damalige Veranstaltung.

Auch in der jüngeren Vergangenheit gab es immer wieder politische Beiträge. Vielleicht fallen die Botschaften heute subtiler aus als früher oder müssen verschlüsselt werden. Das Lied 1944 der ukrainischen Sängerin Jamala greift zwar vordergründig ein historisches Thema auf, bezieht sich aber ganz eindeutig auf die aktuelle Krimkrise.

Das ist ein klassisches Beispiel eines politischen Beitrags, zudem das erfolgreichste. Jamala hat für die Ukraine im Jahr 2016 ja sogar gewonnen. Ihr Lied ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass die EBU die Veranstaltung zwar unpolitisch halten will, das Publikum an solchen Beiträgen aber großen Gefallen findet. Viele Zuschauer*innen wünschen sich gesellschaftspolitische Statements. So war das auch bei Conchita Wurst. Der Song selbst war nicht politisch, die Performance aber schon.

Als politisch wird oft auch das Abstimmungsverhalten beim Song Contest bewertet. Es scheint drei Blöcke zu geben, innerhalb derer sich gegenseitig die Punkte zugeschanzt werden. Dazu zählen die skandinavischen, ex-jugoslawischen und ex-sowjetischen Länder. Teilen Sie diese Meinung?

Eigentlich nicht. Obwohl es sich nicht völlig abstreiten lässt. Bestimmte Verbindungen sind historisch gewachsen. Das sogenannte Block-Voting wurde sogar schon in den Anfangsjahren der Veranstaltung kritisiert. Damals ging es jedoch um die französischsprachigen Länder, also Frankreich, Belgien, Luxemburg, Monaco und die Schweiz. Bei den deutschsprachigen Ländern können wir das nicht beobachten. Österreich gibt Deutschland nur sehr ungern Punkte, das hat natürlich auch historische Gründe.

Um eine Punktevergabe nach rein nationalen Interessen einzudämmen, wurden zusätzlich zur Publikumsabstimmung vor einigen Jahren Expert*innen-Jurys eingeführt. Dennoch erhält Griechenland in jedem Jahr die Höchstwertung von Zypern.

Ich finde schon, dass diese Jurys einigermaßen gut funktionieren. In einigen Ländern wird die Abstimmung jedoch von politischen Faktoren begleitet, die sich nicht einfach beseitigen lassen. Die Jury aus Aserbaidschan kann Armenien aufgrund des Bergkarabachkonflikts unmöglich Punkte geben. Große Teile der Bevölkerung würden das nicht gutheißen. Zudem lässt sich beobachten, dass Länder mit einer homophoben Agenda queere Künstler*innen in der Bewertung eher außen vor lassen. Das haben wir bei Conchita Wurst gesehen. Das russische Publikum gab ihrem Beitrag deutlich mehr Punkte als die russische Jury.

Eines von mehreren Logos der Intervision.

Die russische Sängerin Alla Pugatschowa gewann 1978 den Intervision-Liederwettbewerb.

Russland nimmt erst seit Mitte der 90er am Eurovision Song Contest teil. Denn mit Ausnahme von Jugoslawien war die Veranstaltung lange Zeit nur den westeuropäischen Ländern vorbehalten. In Vorbereitung auf dieses Gespräch habe ich jedoch gelesen, dass der Osten während des Kalten Krieges ein eigenes Pendant zum Song Contest entwickelt hat – den Intervision-Liederwettbewerb. Können Sie darüber etwas erzählen?

Der Intervision Song Contest fand in zwei Auflagen statt: Einmal in der Tschechoslowakei in den Jahren 1965 bis 1968 und dann noch einmal in Polen von 1977 bis 1980. Beteiligt waren die Länder der Intervision, dem osteuropäischen Programmaustausch-Netzwerk. Bei der Veranstaltung ging es nie darum, zum ESC in Konkurrenz zu treten. Vielmehr wollten die Austragungsländer mit dem Westen kooperieren und die eigenen Künstler*innen vermarkten. Man war sehr darum bemüht, internationale Gäste einzuladen. Das war vor allem im Jahr 1968 der Fall, die Tschechoslowakei zeigte sich hier sehr liberal.
Auch in der zweiten Auflage in Polen wurden westliche Künstler*innen eingeladen. Es gab innerhalb dieser Veranstaltung zwei Wettbewerbe: einmal denjenigen der Intervisions-Mitglieder und dann noch einen der Plattenfirmen. Hier waren dann die Acts aus dem Westen dabei. Diese Trennung wurde auch deshalb beschlossen, weil die Plattenfirmen damals beim ESC in der Kritik standen, sämtliche Musikwettbewerbe nach ihren Gusten zu beeinflussen. Gerade Großbritannien und Deutschland wurde das immer wieder vorgeworfen. Die schärfste Kritik am damaligen Einfluss der Musikindustrie kam ironischerweise aus Schweden, das ja heute gewissermaßen den musikalischen Weltmarkt beherrscht.

Hat sich der gesamte europäische Osten am Intervision Song Contest beteiligt?

Albanien nicht. Sonst aber eigentlich alle – auch Jugoslawien, das ja ab 1961 auch beim ESC teilgenommen hat. Zudem war Finnland mit im Spiel. Das wurde mit der Neutralität des Landes begründet.

Dann hätte die Schweiz aber auch mitmachen können!

Das stand wohl nie zur Debatte.

Beide Auflagen des Intervision-Liederwettbewerbs kamen nach nur wenigen Jahren zu einem Ende. Woran lag das?

Das frühzeitige Ende hatte in beiden Fällen politische Gründe. In der Tschechoslowakei kam es 1968 zur Zerschlagung des Prager Frühlings. In Polen wurde 1981 das Kriegsrecht verhängt. Das machte eine Fortführung der Veranstaltung unmöglich.

Jugoslawien war während des Kalten Krieges das einzige osteuropäische Land, das am Eurovision Song Contest teilgenommen hat. Was waren die Gründe?

Sie haben mitgemacht, weil sie es konnten. Jugoslawien war Teil der EBU, ein Gründungsmitglied sogar. Das Land war blockfrei und pflegte enge Beziehungen zum kapitalistischen Westen. Ab den späten 1950er Jahren wollte man sich auf internationaler Ebene offen und modern präsentieren. In diesem Zusammenhang setzte man auch auf Populärmusik, Jazz zum Beispiel und Schlager. Eine Teilnahme am Song Contest passte dazu.

Ist der ESC auch deshalb so beliebt in den ex-jugoslawischen Ländern, weil man so früh dabei war?

Ich finde schon, ja. Der Song Contest war damals auch deutlich beliebter als der Intervision-Liederwettbewerb. Daran erinnert sich eigentlich niemand mehr. Die Teilnahme am ESC hat die besondere Rolle Jugoslawiens während des Kalten Krieges affirmiert. Das war ganz klar ein politisches Statement. Nach Misserfolgen in den 70er Jahren zog sich das Land für einige Zeit von der Veranstaltung zurück, war aber ab 1981 wieder dabei. Das öffentliche Interesse daran war einfach zu groß.

Wie wurde entschieden, welche Teilrepublik für Jugoslawien antritt? Wurde das paritätisch aufgeteilt?

Es gab einen Vorentscheid. Meistens traten jedoch Teilnehmer*innen aus Kroatien an. Das hatte vor allem damit zu tun, dass Zagreb das Ballungszentrum der jugoslawischen Musikindustrie war. Hier hatte die größte Plattenfirma des Landes ihren Sitz, die Jugoton.

Der russische ESC-Beitrag für das Jahr 2020. Die Moves des Tänzers kennt man aus RuPaul’s Drag Race.

Jugoslawien wollte damals auf jeden Fall dabei sein. Das gilt auch für die meisten osteuropäischen Länder heute. Dennoch wird die Veranstaltung gerade dort immer wieder verteufelt. Erstaunlicherweise präsentieren sich die entsprechenden Länder in ihren Beiträgen dann aber selbst als offen und liberal. So sehen wir im Musikvideo zum russischen Beitrag einen Tänzer, der sich ganz offensichtlich queerer Codes bedient: Death Drops und Voguing soweit das Auge reicht. Wie erklären Sie sich das?

Aserbaidschan, das ja auch nicht gerade für seine Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten bekannt ist, verfährt ganz ähnlich. Im diesjährigen Beitrag heißt es „Cleopatra was a queen like me […] straight or gay or in between“. Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung. Man will das Publikum ansprechen und gut ankommen. Die genannten Länder wissen, dass das Aufmerksamkeit auf sich zieht und ihnen Punkte einbringt. Im besten Fall gewinnen sie damit und können die Veranstaltung wieder selbst ausrichten, um sich im besten Licht zu präsentieren.

Eine reine Imagekampagne also. Eine Form des Whitewashings.

Wir müssen immer bedenken, dass die Dinge nicht so einfach sind, wie wir meinen. In Russland zum Beispiel gibt es Gesetze gegen „homosexuelle Propaganda“. Doch das Land ist groß. Moskau und St. Petersburg haben eine lebendige LGBTQ-Szene. Die politische Situation ist deutlich komplexer als wir es wahrhaben wollen. Der Song Contest ist hierfür ein gutes Beispiel.

Kommentar verfassen

Ihre Daten werden bei Absenden des Kommentars in einer Datenbank gespeichert. Bitte beachten Sie dazu unsere Datenschutzerklärung.