Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr kurzfristig abgesagt. Davon betroffen war auch das Programm Common Ground, das unter dem Dach von Traduki Literatur aus Südosteuropa präsentiert hätte. Um den Ausfall zahlreicher Diskussionsrunden und Lesungen ein Stück weit aufzufangen, wurde in der Folge das digitale Format Literarisches Frühstück ins Leben gerufen. Sämtliche bisherigen Beiträge finden sich auf dem YouTube-Kanal von Traduki.
Im Rahmen dieser digitalen Veranstaltungsreihe durfte ich mich mit der Schriftstellerin, Lyrikerin und Übersetzerin Lidija Dimkovska unterhalten. Sie wurde in Skopje geboren, promovierte in rumänischer Literaturwissenschaft in Bukarest und lebt heute in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Im Beitrag sprechen wir über ihre vielfältige literarische Arbeit, ihr Leben zwischen verschiedenen Sprachen und Ländern und über ihren Lyrikband Schwarz auf weiß, der im vergangen Jahr in der Übersetzung von Alexander Sitzmann in der Parasitenpresse erschienen ist. Am Ende des Gesprächs, das wir auf Englisch geführt haben, liest Lidija Dimkovska ihr Gedicht Ohne mich – die mazedonische Originalversion und die deutsche Übersetzung finden sich unter dem Video.
Лидија Димковска
Без мене
Како автоматска врата на воз
се затвори мојот живот.
На перонот останаа непознати луѓе,
но секој знаеше кому му мавта.
Во вагоните – куфери, врева,
патници со нозе врз седиштата.
И едно резервирано, до прозорецот,
што сите го меркаа од ходникот.
Во далечина трчаше старица во црно
премалено паѓајќи во тревата,
но возот не го стигна.
Ја повлеков црвената сопирачка.
Врз мене се струполи кондуктерот.
Ја поттурнав вратата и скокнав.
Возот писна, низ прозорците се надвисна сенка.
Старицата во црно никаде ја немаше.
А мојот живот без мене замина.
Lidija Dimkovska
Ohne mich
Wie die automatische Tür eines Zugs
schloss sich mein Leben.
Auf dem Bahnsteig blieben fremde Menschen zurück,
doch jeder wusste, wem er zuwinkt.
In den Waggons – Koffer, Lärm,
Reisende, die Füße auf den Sitzen.
Und ein reservierter Platz neben dem Fenster,
den vom Gang aus alle belauerten.
Aus der Ferne kam eine alte Frau in Schwarz angerannt,
fiel erschöpft ins Gras,
doch den Zug erreichte sie nicht.
Ich zog den roten Griff der Notbremse.
Der Schaffner fiel auf mich.
Ich schob die Tür einen Spalt weit auf und sprang hinaus.
Der Zug quietschte, aus den Fenstern hing ein Schatten.
Die alte Frau in Schwarz war nirgends zu sehen.
Und mein Leben fuhr ohne mich davon.
(Alle Rechte liegen bei der Autorin.)