Ich lass die Katze gleich mal aus dem Sack: Kein einziges der zu Lebzeiten veröffentlichten Bücher Brigitte Reimanns (1933-1973) habe ich bisher gelesen. Weder Ankunft im Alltag (1961) noch Die Geschwister (1963), nicht einmal ihr posthum erschienenes Hauptwerk, den Fragment gebliebenen Roman Franziska Linkerhand (1974). Wird noch passieren, ich gelobe es. Das Buch wartet geduldig in meinem Regal. Womit ich mich aber ganz gut auskenne, das sind die Briefe und Journale der in Burg bei Magdeburg geborenen Autorin. Durch diese habe ich sie auch kennengelernt. Vornehmlich durch die Korrespondenz mit ihrer engen Freundin Christa Wolf, die unter dem Titel Sei gegrüßt und lebe (1993) vorliegt. Wolf setzte sich nach der Wende für die Publikation dieser Briefe ein, um ein differenzierteres und lebensnahes Bild der DDR zu ermöglichen, fernab von Klischees und einseitigen Schuldzuweisungen.
”„Ich kann nicht leben ohne diesen euphorischen Rausch einer neuen Liebe mit all ihren Stationen, mit ihrem Schmerz, mit ihrem Betrug und Selbstbetrug.“
(15. Oktober 1962)Brigitte Reimann: Ich bedaure nichts
Viel schöner noch als der genannte Briefwechsel sind aber die Tagebücher Brigitte Reimanns, deren erster Band die Jahre 1955 bis 1963 umfasst. Ich bedaure nichts (Aufbau Verlag, 1997), so der Titel ihrer Tagebücher, ist eine ganz offensichtliche Anspielung auf das bekannte Chanson Non, je ne regrette rien von Édith Piaf. In diesem lässt das lyrische Ich mit charmanter „Fuck it all“ Attitüde vergangene Freuden, Fehler und Liebschaften Revue passieren, um sich am Ende ganz auf Gegenwart und Zukunft zu konzentrieren. Eine Ode auf das Leben, so wie die großartigen Journale der viel zu früh an Krebs verstorbenen Brigitte Reimann. Akribisch und gewissenhaft schreibt sie in ihren Aufzeichnungen vom politischen Zeitgeschehen, vom ostdeutschen Alltag, von der Arbeit an ihren Büchern und den Kontakten zu anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern der DDR. Im Vordergrund aber steht zu jeder Zeit Persönliches: ihre Wünsche, Ängste, Selbstzweifel, ihre Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung. Dass Reimann selbst in der Schilderung viel zu vieler Partys, Zigaretten und Männergeschichten (sie war allein viermal verheiratet) nie ins Geschwätzige oder Triviale abdriftet, immer geistreich und beredsam bleibt, das zeichnet diese bemerkenswerten Tagebücher aus. Sie sind ein Dokument unsagbarer Intensität.
Wahrscheinlich ist das Persönliche, das Authentische ihr eigentliches Talent. Ich jedenfalls fand „Franziska Linkerhand“ über weite Strecken scheußlich, ihre Briefe an Christa Wolf aber durchweg wunderbar.
Was genau ist denn an dem Roman so scheußlich? Ich kenne ja wirklich nur die Tagebücher und Briefe, die ich sehr mag (gefallen mir deutlich besser als diejenigen ihrer Briefpartnerin Christa Wolf).