Igort: Berichte aus Russland

Von 07.10. 2018 März 4th, 2020 Bücher
Tino Schlench - Literaturpalast - Igort - Berichte aus Russland

Am 7. Oktober 2006 wurde die regimekritische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Anna Politkowskaja in ihrem Haus in Moskau ermordet. Ihre investigativen Reportagen über den Zweiten Tschetschenienkrieg (1999-2009) und die in diesem Kontext verübten Kriegsverbrechen russischer wie tschetschenischer Truppen bilden die Grundlage des Comics Berichte aus Russland. Der vergessene Krieg im Kaukasus (Reprodukt, 2012) des italienischen Autors Igor Tuveri, kurz: Igort. Darüber hinaus bedient sich das Werk vieler weiterer Quellen – Internet-Foren, Zeitungsartikel, Prozessakten, Briefe, Interviews, historische Abhandlungen und literarische Veröffentlichungen –, um ein Porträt Politkowskajas zu zeichnen und den schwelenden Tschetschenien-Konflikt in Erinnerung zu bringen.

Ganz hervorragend und unkonventionell ist der Aufbau des Comics. Anstelle chronologisch zu erzählen, werden die einzelnen Episoden assoziativ miteinander verknüpft und aus der Perspektive verschiedener Instanzen geschildert, darunter Opfer und Täter gleichermaßen. Besonders beklemmend sind die zahlreichen Folter-Darstellungen, die durch die Zeichnungen weder verharmlost noch trivialisiert werden. In gewisser Weise werden die Folterungen und das Grauen gerade erst durch die visuelle Aufarbeitung Igorts „ertragbar“. Denn die Bilder schaffen Distanz.

Problematisch ist in zahlreichen Belangen jedoch die Positionierung des Bandes. Denn neben einer sentimentalen Überhöhung seiner Protagonistin zu einer ungebrochenen Heldinnen-Figur zeigen die Berichte aus Russland deutlich zu viel Verständnis für die Verbrechen der separatistischen Bewegung Tschetscheniens. Kritikwürdig erscheint ausschließlich das brutale Vorgehen der russischen Behörden und Kampfeinheiten. Mit Verweisen auf die orthodoxe Kirche, sowjetische Gulags und die Hungerkatastrophe in der Ukraine wird am Ende sogar nahegelegt, dass Grausamkeit und Härte ganz wesentliche, ja unabänderliche Bestandteile der russischen Seele seien. Das ist ziemlich schade, weiß der Band doch über weite Strecken zu überzeugen.

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