Die kategorische Trennung von Kunst und Kunsthandwerk wurde in der Vergangenheit immer wieder in Frage gestellt. Im Falle von Was zu dir gehört (Hanser Berlin, 2018) des US-amerikanischen Schriftstellers Garth Greenwell ist es jedoch angebracht, auf dieser Trennung zu beharren. Denn obwohl sich der Autor – der gleich mehrere bekannte Schreibschulen besucht hat – genau auf sein Metier versteht, erweist sich sein gefeierter Debütroman als denkbar leb- und seelenlos.
Technisch versiert, absolviert Greenwell das Pflichtprogramm mit Bravour. Das Buch verfügt über einen interessanten Plot, ein ungewöhnliches Setting und eine vielversprechende Figurenkonstellation. Doch der Roman scheitert an der Kür und lässt es an Tiefe und Intensität, die gute Literatur letztlich ausmachen, schlechterdings vermissen. Dies ist in erster Linie der schalen Sprache des Romans geschuldet.
Man fühlt sich geneigt, den Autor hier ein wenig in Schutz zu nehmen. Denn die im New Yorker erschienenen Erzählungen Greenwells vermitteln ein völlig anderes Bild. So wie die YouTube-Videos, in denen er aus seinen Texten liest, weisen sie seine Prosa als elegant und musikalisch aus. In der Übersetzung gehen diese Qualitäten jedoch verloren. Daniel Schreiber, der das Buch ins Deutsche übertragen hat, mag ein herausragender Essayist sein – in der Funktion als Übersetzer aber ist er lost in translation. Schiefe Bilder („Mitkos lange Beine verschlangen den Asphalt“) und krude Anglizismen („sagte mein Vater etwas wie: Es tut mir leid, dass es dir nicht gutgeht, irgendetwas Nachbarschaftliches, was man in solchen Situationen eben sagt“) stören den Lesefluss.
”„Dort, wo ich herkam, handelte jede Geschichte über Männer wie mich von Krankheit; mein Leben war ein moralisches Lehrstück, in dem es allein um Keuschheit oder Verdammnis gehen konnte. Vielleicht suchte ich deshalb, als ich endlich Sex hatte, weniger die Lust als den Rausch überwundener Hemmungen und Ängste, den Kitzel des Loslassens, der so stark war, dass er fast suizidal wurde.“
Garth GreenwellWas zu dir gehört
Der in Ich-Perspektive erzählte Roman schildert die obsessive Beziehung eines amerikanischen Expats zu einem jungen Bulgaren, der sich mehr schlecht als recht durch Prostitution und dubiose Nebengeschäfte über Wasser hält. Die beiden lernen sich gleich in der Anfangsszene beim Cruising, auf der Suche nach anonymem Sex, in einem verlassenen Toilettentrakt im Kulturpalast von Sofia kennen. Eine von Abhängigkeiten getragene Liebesgeschichte entspinnt sich. Was aber dazu führt, dass sich die Beziehung der zwei ungleichen Männer in dieser Form entwickelt, was ihr Denken und Handeln motiviert und ihr Begehren begründet, das vermag der Roman nicht zu plausibilisieren. Gewiss, es werden zahlreiche Rückblenden eingeflochten, in denen das problematische Verhältnis des namenlosen Erzählers zu seiner Familie in den USA aufgerollt wird, die sein schambehaftetes Verhältnis zum eigenen Körper und zur eigenen Sexualität nach sich zogen. Doch lässt sich allein dadurch die spezifische Dynamik erfassen, die sich zwischen den zwei Protagonisten entfaltet? Wohl kaum.
Aufgrund der schwulen Thematik wurde Greenwells Roman gerade im deutschsprachigen Raum wiederholt mit Hanya Yanagiharas schwülstiger Passionsgeschichte Ein wenig Leben in Verbindung gebracht. Ein Vergleich, der hinkt, und in erster Linie der geschickten Marketingkampagne des Hanser Verlags geschuldet ist. Viel mehr als eine ähnliche Verpackung – beide Romane ziert eine Photographie von Peter Hujar – war nicht notwendig, um Kritik und Publikum erfolgreich hinters Licht zu führen. Ein erkennbares literarisches Vorbild hat Was zu dir gehört aber dennoch. Und zwar Giovannis Zimmer von James Baldwin. Mit diesem modernen Klassiker teilt Greenwells Roman grundlegende inhaltliche und strukturelle Eckpfeiler. Was ihm aber gänzlich abgeht, ist dessen poetische und gesellschaftspolitische Kraft und Relevanz.