Dawit Kldiaschwili: Samanischwilis Stiefmutter

Von 01.12. 2018 März 4th, 2020 Bücher
Tino Schlench - Literaturpalast - Dawit Kldiaschwili - Samatischwilis Stiefmutter

Im Gegensatz zu literarischen Neuerscheinungen, die die Regale der Buchhandlungen füllen und von Kritik und Publikum mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht werden, haben es die Klassiker der schöngeistigen Literatur ein ganzes Stück schwerer. Mitunter geraten sie völlig in Vergessenheit und sind – wenn überhaupt – nur mehr für die Literaturwissenschaft interessant. Ins allgemeine Bewusstsein kehren sie oft nur über Jubiläen oder Neuausgaben zurück. Im Zuge einer kritischen (Re-)Lektüre müssen sie sich dann die ketzerische Frage gefallen lassen, ob heutige Leserinnen und Leser überhaupt noch irgendetwas mit ihnen anfangen können. Sind sie noch relevant für unsere Gegenwart?

Geht es um Übersetzungen von Klassikern aus anderen Sprachen, verlagert sich der Schwerpunkt der Auseinandersetzung. Sie haben – gerade im Falle „kleiner“ Sprachen – einen solchen Seltenheitswert, dass hier das Glück überwiegt, ein bisher unbekanntes bzw. unzugängliches Werk entdecken und erschließen zu können. Mag man Dawit Kldiaschwilis Roman Samanischwilis Stiefmutter aus dem Jahr 1896 wirklich an dessen Aktualität messen? Aber nein! Schön, dass wir ihn endlich auch auf Deutsch lesen können. In Georgien selbst erfreut sich die Gesellschaftssatire – auch in ihrer dramatisierten Form – nach wie vor großer Beliebtheit. Dies hängt auch damit zusammen, dass Kldiaschwili (1862-1931) mit seinem Werk ein lebendiges und als zeitlos geltendes Porträt der georgischen Mentalität gelungen ist, wie die Übersetzerin Rachel Gratzfeld in ihrem Nachwort festhält.

Und tatsächlich erschließt sich diese Zeitlosigkeit westlichen Leserinnen und Lesern nicht. Denn die Motive und Charaktere, die im Roman zum Tragen kommen, wirken weniger universell als völlig aus der Zeit gefallen. Kaum zu glauben, dass Samanischwilis Stiefmutter (Dörlemann Verlag, 2018) im ausgehenden 19. Jahrhundert spielt, denn Moderne und Industrialisierung haben hier noch keinen Einzug gehalten. Zusätzlich verleiht die Sprache des Romans dem Ganzen eine sagen-/märchenhafte Atmosphäre. Erzählt wird in ironisch-heiterem Ton von den dünkelhaften Sorgen des Landadligen Platon, dessen verwitweter Vater erneut heiraten möchte. Der Sohn befürchtet nun, seinen bescheidenen Reichtum bald „brüderlich“ teilen zu müssen. Und so begibt er sich selbst auf die Suche nach einer potentiellen Stiefmutter, die möglichst keine weiteren Nachkommen zur Welt bringen kann. Mehr sei nicht verraten. Außer vielleicht, dass sich diese Kuppelei weniger als romantische Intervention denn als zynischer Viehhandel erweist. Und an diesem hat man auch im Hier und Jetzt seine Freude.

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