
Der arme Heinrich Böll … Das gegebene Setting würde eigentlich ganz hervorragend zu seinem Buch Billard um halb zehn aus dem Jahr 1959 passen. Doch Bölls Roman spielt nun mal in Köln – im tiefen Westen also –, nicht aber im polnischen Wroclaw, im tschechischen Brno oder in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Und die haben hier klar Vorrang!
Blicken wir also in den Osten. Eine hervorragende Gelegenheit dazu bietet der schöne Architektur-Band Fragments of Metropolis East/Osten (Hirmer Verlag, 2018), herausgegeben von Niels Lehmann und Christoph Rauhut. Das Buch widmet sich dem Erbe der expressionistischen Architekturbewegung in Polen, Tschechien und der Slowakei. Zwei zuvor erschienene Bände der Reihe blickten in vergleichbarer Weise auf die Stadt Berlin und die Metropolregion Rhein & Ruhr – Herr Böll muss sich also doch nicht grämen, an Köln wurde bereits gedacht.

Fragments of Metropolis East/Osten dokumentiert Photographien und Planzeichungen von 170 Gebäuden, deren Entstehungszeit in die Jahre 1905 bis 1930 fällt. Mit seinem Fokus auf Mittel- und Osteuropa macht der Band deutlich, dass der Expressionismus kein alleiniges Phänomen der deutschen und niederländischen Architekturgeschichte war und dass auch in anderen Regionen Europas Gebäude entworfen wurden, die der Hoffnung auf eine neue Gesellschaft nach den großen politischen Umbrüchen (v. a. nach dem Ersten Weltkrieg) entsprangen.
Diese visionären Entwürfe unterschieden sich regional mitunter massiv voneinander, waren aber allesamt von einem skulpturalen Verständnis von Architektur geprägt, von einem Wunsch nach Komplexität, Vertikalität und Theatralik, wie das Vorwort von Beate Störtkuhl informiert. Mit diesem Wissen im Gepäck, bereitet die Reise in den Osten noch mehr Freude: an Kirchen und Schulen, Synagogen und Wohnhäusern, Theatern und Postämtern, selbst an Gas- und Wasserwerken.
